Briefmarken-Werte
Seit Mitte des 19. Jahrhunderts werden Briefmarken verwendet, um Ansichtskarten, Geschäftsbriefe, Geburtstagsgrüße, Mahnungen und vieles andere zu versenden. Jede Marke hat einen aufgedruckten Wert, ein paar Pfennige oder etliche Reichsmark, Cents, Lire, Franc und nun europaweit Euro. Schon bald haben Sammler die Briefmarken für sich entdeckt. Auch mein Vater war ein leidenschaftlicher Briefmarkensammler. Ich habe zeitweise dieses Fieber oder auch diese Liebe zu den kleinen gezähnten Papierchen geteilt. Dann kam die Liebe zu Herta und zu meinem Pfarrberuf. Diese Beziehungen wren stärker als meine alte Liebe zu den Briefmarken.
1988 verstarb mein Vater und hinterließ mir seine Briefmarkensammlung. Er pflegte zu sagen: „Wolfgang, Briefmarken sind die Aktien des kleinen Mannes.“ In der Hoffnung, dass diese von ihm in vielen Jahren sorgsam gesammelten, nach Ländern und Jahren geordneten kleinen Schätze für mich einmal einen Gewinn abwerfen würden, übergab er sie mir zu treuen Händen. Zwei überschwere Umzugskartons und eine Aktentasche voller Alben und Briefen mit gesammelten Ausgaben verschiedener Länder lagerten über dreißig Jahre im Keller oder in unserem Lager. Im Corona Jahr 2020 / 2021 waren wir nicht irgendwo im Ausland abgeordnet. Ich hatte Zeit, auch Zeit für die Briefmarkensammlung meines Vaters. Gewarnt von meiner Tochter, dass sie das ganze Zeug nach meinem Ableben verbrennen würde, setzte ich mich Tage und Abende lang hin und ermittelte den heutigen Wert.
Tatsächlich entdeckte ich, wie vor allem ältere Marken ein Vielfaches von ihrem aufgedruckten Wert heute wert sind. Allerdings sind die meisten Briefmarken kaum mehr wert, vielleicht nach 60 Jahren das Doppelte – wenn sich ein Käufer findet. Nach aufwändigen Recherchen stellte ich fest, dass die große Sammlung meines Vaters, angefangen von Briefmarken aus dem Königreich Bayern über das Deutsche Reich, die deutschen Länder, die Bundesrepublik samt West-Berlin und schließlich die Deutsche Demokratische Republik heute zwischen 1.500 und 2.000 Euro wert sein müssten.
Letzte Woche schleppte ich in einem schweren Trolley die vier Alben zu den Sommer-Expertentagen in München. Ich wollte Gewissheit über den Wert dieser Sammlung haben. Der Briefmarkenexperte schaute die Alben kurz an. Nach einem Überblick über die ältesten Marken gab er mir den Rat: „Am besten sammeln Sie selbst weiter. Wirklich wertvolle Marken fehlen. Für die anderen deutschen Briefmarken gibt es keinen Markt. Ich habe kein Interesse an Ihrer Sammlung. Wenn Sie die Alben in Moosach versteigern lassen wollen, bekommen sie vielleicht sechs bis acht Euro für ein Album. Dann müssen Sie noch die Versteigerungsgebühr bezahlen.“ Ich bedankte mich für diese herbe realistische Einschätzung dennoch. Was ist der Wert einer Briefmarke? So viel Wert, wie ein Sammler, wenn es ihn überhaupt noch gibt, bereit ist zu bezahlen.
Doch stimmt das? Ich war entzückt, als ich in der Frankreichsammlung meines Vaters die Marke mit einem Bild der altem megalithischen Festung Filitosa auf Korsika entdeckte. Zwölf Jahre war ich mit Herta und meinen Kindern auf dieser wundervollen Insel im Urlaub. Einige Male durchwanderten wir die antike Festung aus alter Zeit. Beim Ordnen der Briefmarken entdeckte ich wieder, dass der Wert einer Briefmarke auch aus dem Spiegel der Kultur, der Traditionen und der Geschichte eines Staates besteht. Der Stolz über hohe Viadukte, die in der Schweiz Täler überspannen, das Märchen von Hänsel und Gretel mit Zuschlägen für die Jugend, der große grün-beige Block mit dem Olympiagelände in München aus dem Jahr der Olympiade von 1972 begeisterte mich nach fünfzig Jahren. Immerhin wohnen wir inzwischen ganz in der Nähe des Olympiaparks.
Ich liebe Briefmarken, aber ich will sie verkaufen. Ich hoffe dabei nicht mehr auf merkantile Geschäftemacher, die meine Sammlung für ’nen Appel und’n Ei abkaufen wollen. Ich hoffe auf Sammler, die sich von diesen vielen bunten Schätzchen immer noch begeistern lassen für das Land und seine Geschichte, für die Menschen, die dieses Land hervorgebracht hat. Und schließlich bin ich immer noch eine leidenschaftliche „Krämerseele“.