Advent in Huay Yai
An einem sommerheißen Dezembertag in Thailand trete ich ein in das Wohnzimmer eines Bungalows in der ländlichen Siedlung Huay Yai und traue meinen Augen nicht. Ich blicke auf eine vierstöckige erzgebirgische Weihnachtspyramide, die mannshoch auf einem kleinen Tischchen aufgebaut ist. Mit elektrischen Kerzen versehen dreht sie, angetrieben durch einen kleinen Elektromotor, gemächlich ihre Runden. Unten kreisen Maria und Josef mit dem Jesuskind. Ochs und Esel sind an einem Strohballen drapiert. Zwei Hirten mit ihren Schafen sehen von außen zu und verehren den verheißenen Erlöser in der Futterkrippe. Darüber schreiten die drei Könige mit ihren Geschenken zum Stall. Im dritten und vierten Stock jubeln Engel mit Posaunen, Flöten und singen die frohe Botschaft in die Welt hinaus: Christ, der Retter ist da! Diese Weihnachtsszenerie wird überschattet von mächtigen Pyramidenflügeln.
Ich erinnere mich an die große blaue und weiße Weihnachtspyramide meiner Großeltern im erzgebirgischen Thalheim. Sie wurde allerdings noch angetrieben von echten Kerzen. Unversehens bin ich eingetaucht in die heimeligen Erinnerungen meiner Kinder- und Jugendtage. Meine Mutter stammt aus dem Erzgebirge und deshalb stattete sie unser Wohnzimmer in der Adventszeit mit allerlei traditionellem erzgebirgischen Schnitzwerk aus.
Dies alles wird hier in den Tropen noch übertroffen. Meine Augen schweifen durchs Zimmer. Neben dem Eingang zur Küche entdecke ich einen großen Tannenstrauß, geschmückt mit kleinen weißen leuchtenden vielstrahligen Herrnhuter Sternen. Dazu Strohsterne, rote Kirschlorbeer-Früchte und Schleifen. Auf dem Seitentisch ein naturfarbener Adventsleuchter, dahinter auf dem Bord drei kleine Adventsgestecke, ein Nikolaus als Räuchermann. An den beiden Fenstern drei große hölzerne Schwibbögen, flankiert von ansehnlichen Räucherfiguren: Neben dem einen Bogen stehen zwei Holzschnitzer. Der eine hat gerade einen kleinen Schwibbogen hergestellt. Eine Laubsäge hält er in seiner rechten Hand. Der andere präsentiert mit einer langen Pfeife im Mund eine kleine Pyramide.
Am anderen Fenster wird der Bogen von einem Korbflechter mit verschiedenen Henkelkörben in der Kiepe umrahmt, der wohl zum Markt geht. Eine Holzsammlerin, deren weißes Haar aus ihrem Kopftuch lugt, trägt eine Tracht Holz auf ihrem alten Rücken. Aus ihrem geöffneten Mund strömt wohlig riechender Räucherduft, Atem gleich an einem kalten Wintertag.
Die Schwibbögen selbst sind kleine Prachtstücke. Auf den Etagen musizieren Bergleute mit Posaunen, Trompeten, Waldhörnern und Klarinetten. Nicht fehlen dürfen Engel und Bergmann mit ihren Kerzen. Unten die Werkstatt der Holzschnitzer des Erzgebirges. Ihre Tische voller Spielzeug. Doch auch ein Hauer und ein Schubkarrenfahrer im Schacht sind zu sehen, die das Silber des Erzgebirges bergen. Ganz links unten ein erzgebirgisches Original: der Hiemann, der seine Schnitzwaren in zwei Holzkisten auf einem Schubkarren den weiten Weg zur Messe nach Leipzig schiebt. Ein Schaukelpferd, ein Junge und ein Mädchen mit ihren Hoppepferdchen passten nicht mehr hinein und sind außen verstaut.
Auf dem Schild des rechten Schwibbogens prangt die wiedererrichtete Dresdner Frauenkirche, vor der eine Gruppe Kurrende Sänger nicht fehlen dürfen. So ist der vielseitige kulturelle Schatz des Erzgebirges in diesen Bögen auf kleinstem Raum vereint. Dieser Schatz strahlt wie die hellen Kerzen auf den Bögen in die Welt hinaus bis nach Thailand.